Brilon/Paderborn (cpd).
Mit der Kampagne „Kein Mensch ist perfekt“ wirbt die
Caritas im Erzbistum Paderborn im Jahr 2011 für eine neue Sichtweise von
menschlichen Behinderungen. „Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden,
dass Behinderungen ausschließlich Defizite darstellen“, betonte
Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig bei einem Pressegespräch zum
bistumsweiten Auftakt am 14. Januar in Brilon.
Wie relativ der Begriff „Behinderung“ ist, beweisen gerade in Brilon Menschen
mit Behinderungen, die sich in einem Lebensmittel-Projekt der Caritas
ehrenamtlich für bedürftige Mitbürger einsetzen. „Hier ist die Vision einer
inklusiven Gesellschaft, an der Menschen mit Behinderungen nicht nur teilhaben,
sondern auch ´teilgeben` können, ein Stück verwirklicht worden“, würdigte
Lüttig das Briloner Projekt.
Die Caritas wird sich in
diesem Jahr besonders dafür einsetzen, dass in allen Gesellschaftsbereichen
behinderte Menschen nach ihren Möglichkeiten mitbestimmen und mitgestalten
können. Eine inklusive Gesellschaft muss dabei ihren behinderten Menschen
selbstverständlich die Mittel zur Verfügung stellen, die sie brauchen, um als
Bürger und Bürgerinnen zu leben. Durch die UN-Behindertenrechtskonvention
wurden diese Rechte weltweit konkretisiert und gestärkt.
Die Caritas im Erzbistum
Paderborn fordert in diesem Zusammenhang einen Rechtsanspruch auf inklusive
vorschulische und schulische Betreuung und Bildung. Alle Kinder, auch Kinder
mit einem behinderungsbedingten Förderbedarf, sollen die Einrichtungen ihres
Wohnumfeldes nutzen können. Das gemeinsame Aufwachsen aller Kinder sei ein
wesentlicher Beitrag zur „Normalität von Behinderung". Dem gegenüber
stehen aktuelle Sparvorschläge des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL),
die erhebliche Auswirkungen auf die wohnortnahe Förderung und Betreuung
behinderter Kinder in Tageseinrichtungen hätten. Nach den bisherigen
Richtlinien werden auch einzelne behinderte Kinder in der nächstgelegenen oder
in der von den Eltern gewünschten Einrichtung betreut. Dies soll künftig nicht
mehr möglich sein, die Kita würde vom LWL keine Mittel mehr dafür erhalten.
Außerdem soll die Finanzierung der Fachberatung gekürzt werden. Auch die
Heilpädagogischen Kitas sollen mit weniger Mittel auskommen.
Die Werkstätten für behinderte
Menschen sind eine wichtige Errungenschaft und ermöglichen Teilhabe am
Arbeitsleben, sowie eine eigenständige Altersversorgung für einen Teil der
behinderten Menschen. Die Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben müssen an die
Person und nicht an die Einrichtung gebunden gewährt werden, so eine Forderung
der Caritas. Dadurch sind auch flexible Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt möglich. Die Caritas im Erzbistum Paderborn setzt sich
für den weiteren Aufbau von Integrationsfirmen und für den Ausbau der
ausgelagerten Arbeitsplätze der Werkstätten, z. B. auch in katholischen
Altenheimen und Krankenhäusern ein. Dies ändert allerdings nichts an der
Tatsache, dass weiterhin Werkstattplätze benötigt werden. Die Caritas wendet
sich daher mit Nachdruck gegen die Absichten des LWL, den Ausbau der Plätze in
Westfalen-Lippe künstlich von 700 auf 350 zu begrenzen. Dies würde in den
nächsten Jahren bedeuten, dass 1000 Menschen mit Behinderungen kein
Werkstattplatz angeboten werden kann.
Obwohl in den letzten Jahren
Caritasträger viele ambulante Wohnformen aufgebaut haben, leben heute noch
immer fast zwei Drittel aller Erwachsenen, die Eingliederungshilfe zum
selbstbestimmten Leben und Wohnen erhalten, in einer stationären
Wohneinrichtung. Die Caritas sieht es als wichtige Aufgabe, Menschen mit
Behinderung und ihre Angehörigen bei der Entwicklung von individuellen
Wohnkonzepten zu unterstützen. Um Teilhabe im Wohn- und Freizeitbereich zu
ermöglichen, ist nach Ansicht der Caritas ein Ausbau von niedrigschwelligen
Angeboten wie Kontakt- und Beratungsstellen, Rufbereitschaften und Familien
unterstützenden Leistungen erforderlich. Dabei wird es wichtig sein, dass
Angebote, die für nicht behinderte Menschen zur Verfügung stehen, auch für
Menschen mit Behinderung geöffnet und zugänglich gemacht werden. Dies gilt
insbesondere für Freizeitangebote, die barrierefrei gestaltet sein müssen.
Konkret wird der Diözesan-Caritasverband in Kürze hierfür eine Broschüre zur
Planung barrierefreier „inklusiver“ Projekte und Veranstaltungen vorlegen.
Die Caritas fordert schließlich, dass bei allen politischen Entscheidungen Menschen mit Behinderung wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen sind. Alle Entscheidungen im kommunalen Raum sind hinsichtlich ihrer Wirkungen auf Menschen mit Behinderung zu überprüfen. Die Caritas weist nachdrücklich darauf hin, dass für eine barrierefreie und allen zugängliche Infrastruktur die zuständigen Kommunen mit den erforderlichen finanziellen Ressourcen ausgestattet werden müssen.
Ob behindert oder nicht behindert: Für das soziale Engagement im Caritas-Warenkorb, sozialen Einkaufsmarkt für Bedürftige in Brilon, spielen Handicaps keine Rolle. V. li.: Caritas-Geschäftsführer Heinz-Georg Eirund, Ulrich Hildebrandt, Claudia Blüggel und Hans-Joachim Freund als ehrenamtliche Warenkorb-Helfer mit Behinderung und Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig.