Teilhabe am Arbeitsleben: Dieses Angebot machen Engelbert Kraft (Fachbereichsleiter Arbeit für Menschen mit Behinderung), Albert Schreckenberg (Produktionsleiter IDL) sowie Sigrid Weitekamp-Ebers und Ute Schröder vom Sozialdienst-Team der Caritas-Werkstätten St. Martin auch für Menschen mit einer psychischen Behinderung. FOTO: CVB / WAMERS
Der 10. Oktober ist der Internationale Tag der psychischen Gesundheit. An diesem Datum sollen die Menschen über die Bedeutung von psychischer Gesundheit informiert, zugleich auch für psychische Erkrankungen und Behinderungen sensibilisiert werden. Denn diese können, genau wie ein Beinbruch, ausnahmslos jeden treffen. Deswegen will der 40-jährige Stefan V. aus seinem bewegt-bewegenden Leben erzählen, denn trotz aller Tiefen und Rückschläge hat Stefan V. sein Lebensmotto gefunden: „Das Beste machen aus dem, was kommt. Und: Ziele haben!“
„Ich bin in Olsberg geboren und aufgewachsen“, beginnt Stefan V. Dort hat er auch seinen Realschulabschluss gemacht. „Und bis dahin war noch alles in Ordnung.“ Die begonnene Tischlerlehre bricht er nach zwei Jahren ab. „Ich hatte einen falschen Freundeskreis, wie man so sagt“, sagt der heute 40-Jährige . Nicht die Arbeit bestimmt den Werktag im falschen Freundeskreis, sondern Alkohol und Haschisch. „Ich hatte trotzdem versucht, regelmäßig zu arbeiten“, betont der Olsberger und fügt leiser hinzu: „Als Belohnung nach der Arbeit habe ich abends Bier getrunken.“ Beim Feierabendbier bleibt es nicht. „Langsam entwickelte sich aufgrund meines Alkohol- und Drogenkonsums eine Psychose.“ Die lange unentdeckt ist. „Erst, als ich verwirrt durch Arnsberg gelaufen bin, hat man mich zum Psychiater gebracht“, erzählt Stefan V. Richtig erinnern kann er sich daran nicht.
Sieben Monate verbringt er anschließend in einer Klinik in Marsberg, wo seine Erkrankung behandelt wird. Nach der Entlassung findet Stefan V. mithilfe des Ambulant Betreuten Wohnens eine eigene Wohnung und nimmt an einer ambulanten Rehabilitation teil. Parallel dazu erweist sich die Suche nach einer neuen Ausbildungsstelle ergebnislos. „Das hatte alles nicht geklappt. Aus Frust habe ich wieder getrunken und gekifft, flog anschließend aus der Wohnung“, blickt Stefan V. zurück. Ein harscher Rückschlag. Zeitweise lebt er in einem Übergangswohnheim für Asylbewerber. „Schön war das nicht“, sagt er. Aber durch das Hörensagen gibt es Hoffnung: Stefan V. erfährt vom Angeboten des Stationären Einzelwohnens und ebenso von der Abteilung „Industrie-Dienst-Lei stungen“ (IDL) der Caritas-Werkstätten St. Martin. Dort hat man sich auf die Begleitung, berufliche Förderung und Rehabilitation von Menschen mit einer psychischen Behinderung spezialisiert. Der Arbeitsplatz wird nach den Fähigkeiten der Beschäftigten gestaltet.
Seit 13 Jahren arbeitet Stefan V. bereits in der IDL. „Ich habe eine positive Einstellung zur Werkstatt entwickelt“, sagt er, „Zum einen ist mir die Tagesstruktur sehr wichtig, zum anderen, dass ich in sieben Jahren Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente habe, dann habe ich 20 Jahre gearbeitet und Beiträge bezahlt. Ich habe neue Kontakte gewonnen, aber zugleich gelernt, mich abzugrenzen.“ Und Wertschätzung zu erfahren: „Es ist wichtig, dass man weiß, dass man eine wichtige Funktion hat. Hier in der Werkstatt gibt es keine Beschäftigungstherapie, sondern es ist richtige Arbeit.“ Gearbeitet wird für Partner in der freien Wirtschaft: Es wird montiert, kommissioniert, kontrolliert und auf Termin geliefert. Mit zum grundlegenden Auftrag der St. Martin Werkstätten gehört auch, Menschen den (Wieder-)Einstieg auf den Ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Stefan V.s Werktag, aber auch die Feierabende haben sich stabilisiert – strukturiert. Er pflegt einen guten Kontakt zu seiner Familie. „Ich bin Mitglied im Modellbahnclub und habe dadurch Kontakt zu ‚normalen‘ Menschen“, sagt Stefan V. augenzwinkernd. Darüber hinaus engagierte er sich zuerst im Heimbeirat, jetzt im Werkstattrat. „Ich habe gelernt, einen eigenen Standpunkt zu finden und sich nicht von anderen mitziehen zu lassen. Außerdem sind klare Regeln wichtig, wie abstinent zu bleiben. Ich habe in meinem Leben schon so viel Mist gebaut! Jetzt möchte ich etwas Gescheites machen, etwas Sinnvolles.“ Sein großes Lebensziel ist das, was die meisten als Normalität betrachten: „Eine größere Wohnung mit separater Küche und Schlafzimmer und etwas Platz für meine Eisenbahn. Ich möchte selbstständig sein, das heißt auch unabhängig vom Sozialamt.“
Info: Was ist eine psychische Behinderung?
• Wird eine psychische Erkrankung nicht geheilt, kann sie chronisch werden, was wiederum zu einer Behinderung führen kann.
• Statistisch
gesehen leidet jeder dritte Deutsche einmal im Leben an einer Behandlungsbedürftigen
psychischen Erkrankung. Dazu gehören bspw. Neurosen, Psychosen oder
Depressionen, die auch durch Verlust eines Angehörigen oder des Arbeitsplatzes
ausgelöst werden können.
• Bei Betroffenen verändern sich die psychischen Funktionen wie Antrieb,
Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, Motivation, Orientierung, Wahrnehmung oder
emotionale Stabilität. Sind die Funktionen langfristig gestört, wirkt sich das
auf alle Lebensbereiche aus – auf Schule, Arbeit, Wohnen, Ernährung, Familien-
und Freundeskreis.
Info: Die Caritas-Werkstätten
• Menschen
mit Behinderung haben wie alle Bürger das Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben
und Bildung. Diesen Auftrag erfüllen die Werkstätten für Menschen mit Behinderung,
indem berufliche Bildung und Rehabilitation ermöglicht und den Fähigkeiten und
Wünschen entsprechende Arbeitsplätze angeboten werden.
• Ziel ist, die Leistungs- und Erwerbsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten,
weiterzuentwickeln oder wiederzugewinnen.
• Von den insgesamt
674 Beschäftigten an den sechs Standorten der Caritas-Werkstätten St. Martin haben
194 eine psychische Behinderung.
• Die St. Martin Werkstätten liegen in Trägerschaft des Caritasverbandes
Brilon. Bei der Begleitung von Menschen mit einer psychischen Behinderung kann
daher auf ein breites Netzwerk von Angeboten und Hilfen zu Themen wie bspw.
Sucht, Armut, Wohnen zurückgegriffen werden.