Konstruktiv und kritisch diskutiert: Karl-Josef Laumann (Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW, Foto 2. v. l.) und Landtagsabgeordneter (Matthias Kerkhoff, 2. v. r.) sprachen mit Karen Mendelin (Fachbereichsleiterin Alten- und Krankenhilfe ambulant des Caritasverbandes Brilon, Foto v. l.), Maria Lückmann-Müller (Pflegedienstleiterin Caritas-Sozialstation Olsberg), Barbara Honekamp (Pflegefachkraft Sozialstation Winterberg), Anja Vorderwülbecke (Pflegedienstleiterin PAPS Olsberg) und Heinz-Georg Eirund (Vorstand Caritasverband Brilon) über Ursachen des und Auswege aus dem Pflegenotstand.Foto: Caritas Brilon
Brilon / Düsseldorf. Anfang Dezember hatten sich lokale Anbieter im Bereich der ambulanten Alten- und Krankenhilfe zusammengetan, um öffentlich die Folgen des sogenannten Pflegenotstandes zu benennen. Konkret konnten zum Jahresende aufgrund des Fachkräftemangels in mehreren Sozialstationen keine Patienten mehr aufgenommen werden. Diesen Ist-Zustand machten die Akteure in einem Zeitungsartikel sowie in einem Brief an die verantwortlichen Politiker auf Kommunal-, Kreis- und Landesebene publik. Ein breites Medienecho folgte sowie jüngst eine Einladung nach Düsseldorf. Aus dem Altkreis Brilon diskutierten jetzt Vertreter des Caritasverbandes Brilon und des Pflegedienstes PAPS mit Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW. Vermittelt hatte das Gespräch Matthias Kerkhoff, Landtagsabgeordneter aus Olsberg, der an Diskussionsrunde teilnahm. Aus verschiedenen Blickwinkeln schilderten die Pflegeprofis aus der Praxis ihre Sicht auf die aktuelle Situation der ambulanten Altenhilfe im Altkreis Brilon, einer ländlich geprägten Region, die beispielhaft für andere Landstriche steht.
Über den direkten Umgang mit den Patienten berichtete Barbara Honekamp, Pflegefachkraft aus der Sozialstation Winterberg – sowohl mit Blick auf das professionelle Anwendungswissen samt Handgriffen in der Pflege als auch auf das Zwischenmenschliche: „Wir sind oft der einzige Kontakt, den die Patienten noch haben. Für eine aktivierende, sich an den individuellen Bedürfnissen orientierende Pflege brauchen wir mehr Zeit. Das gilt auch für unser Selbstverständnis als Pflegende und diese professionelle Pflege wird so auch gefordert und geprüft.“ So richte sich der Faktor mehr Zeit für Pflege auch als Appell, an die Pflegekassen, die Pflege im Minutentakt vorgibt.
Einblicke in die oftmals schwierige Steuerung der ambulanten Pflegeeinsätze in Zeiten wachsender Patientenzahlen und Pflege im Minutentakt bei gleichzeitigem Fachkräftemangel boten Karen Mendelin (Fachbereichsleiterin Alten- und Krankenhilfe ambulant des Caritasverbandes Brilon, Foto v. l.), Maria Lückmann-Müller (Pflegedienstleiterin Caritas-Sozialstation Olsberg) Anja Vorderwülbecke (Pflegedienstleiterin PAPS Olsberg) und Heinz-Georg Eirund (Vorstand Caritasverband Brilon). Allesamt sprachen sich für den Erhalt einer würdevollen Pflege aus, die dementsprechend Zeit und damit auch Geld koste. Trotz aller aktuellen Widrigkeiten herrschte Konsens bei denen, die in der Pflege arbeiten: „Es ist ein toller, weil vielseitiger Beruf. Es ist ein Dienst am und für Menschen.“
Angehörige mehr in die Pflicht nehmen
NRW-Gesundheitsminister Laumann, der zwischen 2014 und 2017 Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten sowie Bevollmächtigter für Pflege war, nahm sich über eine Stunde für den Austausch Zeit. Er teilte viele Ansichten nach den Praxisberichten der sauerländer Pflege-Delegation und scheute sich nicht, dem realen Blick auf die Pflegesituation klare Worte folgen zu lassen: „Den Fachkräftemangel können wir nicht stoppen“, sagte Karl-Josef Laumann, „Die Angehörigen müssen auch zukünftig mehr in die Pflicht genommen werden.“ Im März war Laumann unter anderem für seinen Einsatz zur Entbürokratisierung der Pflege, der Pflegeausbildungsreform und der Forderung nach besserer Bezahlung vom Deutschen Pflegerat mit dem Deutschen Pflegepreis ausgezeichnet worden. Das sind gute Schritte in die richtige Richtung, fanden die Praktiker. Auf anderen Feldern hingegen bedürfe es noch weiterer Verbesserungen.
So wurde auch konstruktiv wie kritisch diskutiert. Stichwort: Öffnung der ambulanten Pflege für den Einsatz auch ungelernter Kräfte. Einen Ansatz, den die Experten aus der Praxis skeptisch sehen. „Pflege kann nicht jeder“, betonten die Pflegedienstleiterinnen Maria Lückmann-Müller von der Caritas und Anja Vorderwülbecke von Paps. Sie wiesen auf die Pflegefachlichkeit inklusive Beratung und geschulter Beobachtungs- wie Sozialkompetenz ihrer Mitarbeitenden hin. Auch fordere der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) als Kontrollinstanz eine hohe Fachlichkeit ein. „Das kommt in der Realität also nicht überein“, sagte Fachbereichsleiterin Karen Mendelin. Ebenso gebe es Unstimmigkeiten im Leistungskatalog. Am konkreten Beispiel pflegerischer Hilfestellungen: Die Fachkraft hilft dem Patienten bei der Toilette, also bei den „Ausscheidungen“, wie es offiziell heißt. Allerdings kann diese Hilfestellung in einem Einsatz nicht automatisch, obwohl praktikabel und einleuchtend, an das An- und Auskleiden gekoppelt werden. Fehlstellen, die Fragezeichen bei den Akteuren der Pflege hinterlassen.
Image der Pflege verbessern
Neben aller Kritik präsentierten die Besucher aus Brilon auch Handlungskonsequenzen. „Allen voran muss das Image des Pflegeberufes verbessert werden, um dem Fachkräftemangel zu begegnen“, sagte Heinz-Georg Eirund, Vorstand des Caritasverbandes Brilon, und weiter: „Die würdevolle Pflege, die wir den Menschen geben wollen, benötigt Menschen, die mit Herz, Hand und Verstand ihren Dienst am Nächsten widmen, sowie eine faire Bezahlung. Kurz-, mittel- und langfristig muss die Finanzierung wie das Ansehen der Pflege besser werden.“ Der Pflegeberuf sei mit hohem Anspruch und viel Verantwortung verbunden, so Pflegefachkraft Barbara Honekamp: „Entsprechend sollte auch die Anerkennung und Wertschätzung in der Öffentlichkeit sein.“