Brilon/Altkreis.
Die Auswirkungen des viel zitierten demographischen
Wandels sind bereits zu spüren. Unsere Gesellschaft wird insgesamt älter,
wodurch der Hilfe-, Pflege- und Unterstützungsbedarf weiter ansteigen wird. Die
Kehrseite der Medaille: Es gibt immer weniger Menschen, die diese Hilfe und
Unterstützung in angemessener Weise leisten können. Gerade auch die
Wohlfahrtsverbände als Dienstleister in diesem Bereich spüren die Entwicklung,
der zudem Sparzwänge und hohe Einschnitte in den Finanzierungen zu schaffen
machen.
Heinz-Georg Eirund, Vorstand des Caritasverbandes Brilon, spricht zu den
Herausforderungen dieses Jahres.
Wie wirken sich die
gesellschaftspolitischen Veränderungen auf die Arbeit des Caritasverbandes aus?
HGE:
Zum einen ist es der viel beschriebene demographische
Wandel, der sich auf unsere Dienste und Einrichtungen auswirkt. So wächst der
Bedarf an Angeboten für alte und pflegebedürftige Menschen und andererseits
gibt es immer weniger Mitarbeiter und Fachkräfte für diese Aufgaben. Die Arbeit
verlangt Kompetenz, Einfühlungsvermögen und Herzblut. Hohe körperliche und
psychische Belastungen werden von den Mitarbeiterinnen immer wieder benannt,
ausgelöst nicht zuletzt durch die immer enger gestrickten Rahmenbedingungen. Kostenträger
- und natürlich auch Kunden – fordern berechtigt hohe Qualität, die wir durch
unsere Arbeit auch nachgewiesen gewährleisten. Doch dauerhaft ist dieser
Anspruch bei weiteren Einschränkungen der finanziellen Mittel oder schlechter
werdenden Rahmenbedingungen, wie der hohe Zeitdruck, kaum zu stemmen.
Die Organisation der Arbeit wird immer wieder optimiert. Das Engagement der
Mitarbeiter ist überdurchschnittlich. Dies gilt für alle Bereiche unseres
Verbandes und wird uns durch unsere Kunden immer wieder bestätigt.
Eine andere Sorge ist, dass soziale Dienstleistungen immer offener hinterfragt
werden, sogar die Schuldfrage an sozialen Notlagen wird in den Vordergrund
gestellt. Jeder Mensch hat das Recht auf ein angemessenes Zuhause und auf
Hilfestellung in jeder Notlage. Wir stellen keine Schuldfragen – wir
hinterfragen die Gesamtsituation, geben Perspektiven und ermuntern und
befähigen zu einem Neuanfang. Dabei trägt jeder, der in einer Notlage ist,
natürlich eine hohe Mitverantwortung zur Verbesserung seiner Situation. Auch
wenn es natürlich immer Menschen gibt, die ein System ausnutzen, sind wir
dennoch gut beraten, den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft stabil zu
halten.
Wie bewerten Sie den
Referentenentwurf zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung auf Bundesebene und
die Vorschläge der Landesregierung Nordrhein-Westfalen zur Reform der
Pflegeversicherung?
HGE:
Zunächst stimmen die Annahmen, dass im Bereich der
Pflege erhebliche Herausforderungen zu bewältigen sind. Die Zahl der
Pflegebedürftigen steigt bis 2030 in NRW voraussichtlich von derzeit 500.000
Menschen auf 700.000 Menschen. Bis 2050 auf über eine Million Menschen. Die
geforderte Vielfältigkeit der Angebote für Senioren ist natürlich
begrüßenswert.
Dies praktizieren wir mit unseren Angeboten schon lange durch attraktive
ambulante, teilstationäre und stationäre Angebote, die auch stetig
weiterentwickelt werden. Natürlich möchte jeder so lange wie möglich in den
eigenen vier Wänden leben. Auch Wohngemeinschaften für Senioren stellen
interessante Modelle dar. Aber ich finde es unverantwortlich, die Lösungen
vorrangig in ambulanten Angeboten zu sehen, die die Kosten im Rahmen halten
sollen. Insbesondere, wenn stationäre Angebote als eine nur schlechte
Alternative hingestellt werden. Nicht jeder Lebenssituation des Alters können
ambulante Lösungen gerecht werden. Und auch nicht den Senioren oder ihren
Angehörigen. Abgesehen davon, dass natürlich jeder Mensch ein Wunsch und
Wahlrecht bezüglich seiner Wohn- und Versorgungsform hat. Die beste Lösung kann
für jeden immer nur ganz individuell gefunden werden. Dies gilt übrigens auch
für die Behindertenhilfe.
Welche
Herausforderungen sehen Sie noch in diesem Zusammenhang?
HGE:
Es scheint so, dass die Kostenträger meinen, die
Herausforderungen in der Altenhilfe ohne das Einbringen zusätzlicher
finanzieller Hilfen bewältigen zu können. Dies wird trotz des Ausbaus
ambulanter Angebotsformen nicht gelingen. Es sind erhebliche finanzielle Mittel
erforderlich, um alten und kranken Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt
menschlich und fachlich gerecht zu werden.
Das ist natürlich auch eine Anfrage an die Gesellschaft, die sich entscheiden
muss, was sie für die Versorgung von alten, kranken oder gehandicapten Menschen
ausgeben will. Einsparungen sind natürlich möglich bei dem von Kassen und
Behörden geforderten Verwaltungs- und Dokumentationsaufwand, der in den
vergangenen Jahren das notwendige und sinnvolle Maß völlig überschritten hat.
Das demotiviert auch die Mitarbeiter, die diese Zeit lieber für ihre
eigentliche Arbeit mit dem Patienten oder Bewohner nutzen möchten. Wir haben
auch nichts gegen Kontrollen. Es kommt auf das Maß und die Sinnhaftigkeit an.
Die Alten- und
Krankenhilfe ist ja nur ein Teil des Aufgabenspektrums Ihres Verbandes…
HGE:
Wir befürchten Kürzungen in allen Bereichen –
Jugendhilfe, Behindertenhilfe und Familienhilfe sind dabei nur einige
Stichpunkte. Diese können zu Qualitätseinbußen führen, die nicht wir als
Träger, sondern die Politik zu verantworten hat.
Warum sollten sich
junge Menschen an einen sozialen Beruf beim Caritasverband Brilon wagen?
HGE:
Zunächst gilt: Trotz aller beschriebenen Sorgen und
Probleme ist die Tätigkeit in einem sozialen Beruf, ob Pflege, Betreuung oder
Beratung, gewinnbringend. Beispielsweise ist der Beruf einer Krankenschwester
oder eines Altenpflegers ein krisensicherer Beruf, da die Bedarfe steigen.
Der Kontakt zu einem pflegebedürftigen Menschen und dessen Angehörigen ist oft
mit großer Dankbarkeit verbunden. Ein Blick, ein Händedruck sind ein ganz
besonderer Lohn. Ich glaube, dass man in sozialen Berufen eine hohe persönliche
Zufriedenheit erfährt. Gute Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten sind
gegeben. Dennoch, die Rahmenbedingungen, die sich auch in einem angemessenen
Lohn für einen verantwortungsvollen und anspruchsvollen Beruf ausdrücken,
müssen stimmen. Als Träger sind wir tariflich verpflichtet und gleichsam von
der Refinanzierung der Kostenträger abhängig. Will man weiter Qualität, muss
die Refinanzierung erreicht werden.
Wie finden Sie
Nachwuchs für soziale Berufe?
Nach Wegfall des Wehr- und damit
auch des Zivildienstes, haben immer weniger junge Menschen zwangsläufig mit
sozialen Problemen zu tun. Es fällt ihnen mit Recht schwer, den Blick einmal
abseits des vorherrschenden gesellschaftlichen Ideals der Schönen und Starken
zu richten.
Daher versuchen wir als Caritasverband Impulse zu setzen. Wir stehen mit
Schulen und Schülern in engem Kontakt, regen zu sozialen Praktika und
gemeinsamen Projekten, zum Beispiel innerhalb der Senioren- oder der
Behindertenhilfe, an. Geplant ist in diesem Jahr eine Personal- und
Ausbildungsoffensive. Schon viele Jahre erhalten zahlreiche junge Menschen im
Bereich Altenpflege, Heilerziehungspflege und im Bereich der Verwaltung als
Industriekauffrau/ -mann eine qualifizierte Ausbildung.
Ein Blick in das Jahr
2012…
HGE:
Die weitere Ökonomisierung der sozialen Landschaft
deutet sich an. Das wird uns als Wohlfahrtsverband aber nicht veranlassen
unsere Motivation und ureigenen Ziele aus dem Blick zu verlieren.
Schon seit vielen Jahren hat sich der Verband zu einem Sozialunternehmen
gewandelt, steht im Wettbewerb mit anderen Anbietern. Es gibt keine pauschalen
Finanzierungen mehr, was insgesamt weniger Sicherheiten bedeutet.
Entgegen der landläufigen Meinung beziehen wir nicht einmal 1 % unserer
Einnahmen aus Kirchensteuermitteln. Der Rest unserer Einnahmen muss
erwirtschaftet werden.
Wir planen für 2012 weitere Projekte, wie z.B. den Neubau des St. Engelbert
Seniorenzentrums in Brilon, den Ersatzneubau eines Wohnhauses für geistig
behinderte Erwachsene in Brilon sowie die Weiterentwicklung von
Arbeitsangeboten für Menschen mit Behinderung. Dabei ist uns der Kontakt zu den
Menschen vor Ort wichtig.
Das schaffen wir nicht nur durch hoch engagierte hauptamtliche Mitarbeiter,
sondern auch durch zahlreiche Menschen, die sich in vielfältigster Form
ehrenamtlich einsetzen und denen ein besonderer Dank gebührt.